25. August 2007

David


Seit Montag ist der alte Entpacker wieder da. David ist zweiundvierzig, kommt aus Nigeria und seit zehn Jahren in Deutschland. Wir unterhalten uns auf Englisch, was ihn freut und mich. David beginnt sofort über die Kollegen zu lästern. Ich schaue mich verdutzt um. Ich gehe davon aus, dass jeder Mensch Englisch versteht. Die Kollegen verstehen aber wirklich nur einzelne Worte. Also wird Englisch für ihn und mich zur Geheimsprache. Ihm liegt daran über die anderen zu reden. Er findet sie unfreundlich und egoistisch.

Ausländer in Deutschland sein ist nicht gleich Ausländer in Deutschland sein. Das gilt natürlich zuersteinmal für die beiden großen Gruppen die vom Ausländeramt explizit und überall sonst implizit gebildet werden:

- Europäische Union, USA, Kanada, Australien und wenige andere.

- Der Rest.

Aber für einen Afrikaner ist die Lage noch einmal anders. Die afrikanische Posse ist kleiner als die der Türken und Araber. Es gibt auch kaum Entwürfe für coole oder subversive Afrikaner in Deutschland. Für Türken und Arabern gibt es beides - ischwör.

Wenn auch Deutschlands Kolonialgeschichte nicht die Breite und vor allem nicht die Länge hat wie die britische oder die französische, so hatte Deutschland doch an der weißen europäischen Kolonialisierung Afrikas teil. Bezeichnenderweise fand die Kongokonferenz 1884/85 in Berlin statt. Im Schatten des Holocaust wird das häufig vergessen. Von afrikanischer Seite aus sind wir aber ganz klar Teil des kolonialen Projektes. Bezeichnenderweise führt die "journey in" (in das Herz des Kolonialismus) in Ama Ata Aidoos Our Sister Killjoy nicht nach London sondern in den Schwarzwald.

David ist alleine – bei der Kölner Traditionsfirma, in Deutschland und auch sonst. Das Kind, das er mit seiner Ex-Frau hat, sieht er selten. Mit ihr spricht er nicht mehr. Er fährt oft nach London und nach Amsterdam, wo Freunde wohnen. Er sagt die Menschen sind offener dort. Ich sage, dass ich im Vergleich zu London Berlin den Vorzug geben würde, was die Freundlichkeit der Leute angeht. Berlin ist eine langsame Stadt verglichen mit London. Sie wirkt auch niemals so voll und die Leute in der U-Bahn schauen weniger verdrießlich drein.

Aber ich habe da die unterschiedliche Situation von David und mir vergessen, was mir erst nach dem Gespräch bewusst wird. Wenn ich in London Englisch spreche, wird mein Englisch als eine für mich fremde Sprache wahrgenommen. Davids Englisch wird, obwohl es sich vom britischen unterscheidet, als für ihn "normal" wahrgenommen - in vielen afrikanischen Staaten wird schließlich Englisch gesprochen. Was die Sprache angeht, wird er weniger als fremd wahrgenommen als ich. Viel wichtiger ist es jedoch, dass schwarz sein in Großbritannien wesentlich normaler ist als in Deutschland. Somit ist es für David einfacher in London als in Berlin.

David hatte es sich nie vorstellen können Nigeria zu verlassen um anderswo sein Glück zu suchen - das war als es Nigeria ökonomisch gut ging. Er hatte Arbeit, konnte verreisen und hatte ein gesichertes Leben. Er stellt sich mir als Business Man vor. Seit sechs Jahren trägt er aber einen roten Arbeitskittel, der nicht ihm gehört sondern der Firma.

Am Samstag um sechs in der Frühe, auf der Fahrt von der Nachtschicht ins Zentrum, sagt er ohne Vorwarnung: "It's not easy, man, life I mean."

Ich esse ein Nussnugat-Croissant, will ins Bett und am Abend ins Theater. Meine Träume machen sich immun gegen die Enttäuschung meines schwarzen Kollegen.

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