31. August 2007

Class



Die Zeit der letzten Woche widmet sich Klassenunterschieden und sozialer Mobilität in Deutschland. Kerstin Kohlenbert und Wolfgang Uchatius konstatieren "Von oben geht es nach oben" http://www.zeit.de/2007/35/Aufsteiger?page=all. Sie stellen eine große Bedeutung von Herkunft gerade in Deutschland für den beruflichen Erfolg fest, zudem eine verstärkte Abgrenzung derer dort oben von jenen dort unten.

Die Autoren verweisen auf den Soziologen Michael Hartmann, der die Karrieren von promovierten Juristen, Wirtschaftswissenschaftlern und Ingeneuren untersuchte. Jene, die es tatsächlich an die Spitze von Konzernen oder Universitäten schafften, einte die bürgerliche Herkunft: "Sie hatten die richtigen Kontakte in die Chefetagen, sie konnten beim Geschäftsessen auch mal über eine gelungene Operninszenierung plaudern, sie wussten einen guten von einem schlechten Wein zu unterscheiden und waren imstande, peinliche Situationen souverän zu überspielen."

Grenzen ziehende Entscheidungen treffen Menschen vor allem bei der Wahl des Partners und später bei der Wahl der Schule für die Kinder. Bei der Wahl des Partners ist das Muster der Frau, die nach oben heiratet, und des Mannes, der nach unten heiratet weggefallen. Ärzte heiraten keine Krankenschwestern mehr und Manager nicht mehr ihre Sekretärinnen. Der größere Drang zur Abgrenzung zeigt sich im Boom der Privatschulen. Weite Wege und Schulgeld werden heute eher in Kauf genommen. Die Autoren interviewen einen linken Kabarettisten, der seine Kinder auf eine Privatschule mit 800 Euro Schulgeld schickt. Er sieht eine Verbesserung des Bildungssystems als Aufgabe der Politik, nicht als seine eigene. Er möchte aber aus leicht verständlichen Gründen anonym bleiben.

Das Fehlen von Kontaktpersonen, die armen Kindern die Möglichkeit eines sozialen Aufstiegs erleichtern oder dessen Möglichkeit erst aufzeigen, wird beklagt. Durch verstärkte Viertelung wohnen keine bildungsbürgerlichen Omis mehr neben Gastarbeiterkindern. Sie können nicht deren Aufsätze korrigieren, ihnen keine Tischmanieren beibringen, noch sagen "Bücher sind besser als Fernsehen."

Von meiner momentanen Perspektive lässt sich der Artikel abnicken. Die jungen Kollegen können sich nichts unter einem Studium vorstellen, weil sie keine Studenten kennen. Als Perspektive stand für die meisten das Abitur von vorne herein nicht zur Diskussion. Das ist vielleicht auch der Grund, wieso sie sich in der Schule keine Mühe gaben und am Ende mit einem Abgangszeugnis und ohne Perspektive auf irgendetwas da standen.

Ergänzend zu Kohlenberg und Buchatius ließe sich sagen, dass sozialer Aufstieg - wo er denn stattfindet - unterschiedliche Bedeutungen und dann auch Manifestationen hat. Für Kinder von Ungelernten ist sozialer Aufstieg eine Ausbildung zu machen. Das ist der Schritt, den die Kinder von älteren Kolleginnen zum Teil gemacht haben. Für Kinder von Handwerkern ist eine Banklehre oder ein Lehramtsstudium sozialer Aufstieg. Lehrerkinder werden heute vielleicht Künstler oder Manager. Sozialer Aufstieg ist begrenzt was das Ausmaß aber auch was die Qualität angeht. Für einen Deutschlehrer ist die werdende Künstlerexistenz eines Kindes wahrscheinlich weniger dekadent als für einen Physiklehrer. Für letzteren wäre die Künstlerexistenz von vorneherein kein Aufstieg sondern ein Abstieg, während sie vielleicht der ungelebte Traum des Deutschlehrers ist.

In Deutschland wird wenig über Klassenunterschiede geredet. Das Zeit Dossier ist eine Ausnahme in dieser Hinsicht. Die Entproletarisierung der SPD und der Gewerkschaften, das heißt das Ende der alten Arbeiterklasse, und die Öffnung der Universitäten in den Siebzigern gelten als Indikatoren für die Einebnung von Klassenunterschieden. Die Unterschichtdebatte blieb auf den Unterschied von "unten" und "ganz unten" beschränkt. Soziale Schichtung ist aber mannigfaltig, wie Kohlenberg und Buchatius zeigen.

Das Fehlen einer Diskussion von Klassenunterschieden scheint mir auch daran zu liegen, dass sich diese in Deutschland stärker maskieren als anderswo.

In Großbritannien und Australien ist immer klar, wieso jemand in diesem Viertel wohnt oder in jenem. In Großbritannien gibt es die Council Tax, deren Höhe sich an Grundstückspreisen orientiert. Um in einem reichen Viertel zu wohnen, muss man eine höhere Council Tax zahlen. Diese Steuer "informiert" potenzielle Käufer und Mieter über Viertelung und verstärkt diese im Umkehrschluss. In Australien kann die Assoziation eines Viertels mit Reichtum sogar dazu führen, dass die Mieten in den Köpfen höher sind als die auf Papier. Ich habe im mit Abstand prestigeträchtigsten Viertel Perths für wenig mehr Geld gewohnt als im Studentenviertel.

In Deutschland lehnt man arme Viertel mit dem Verweis auf mangelnde Sicherheit oder Schönheit ab und maskiert so Klassenunterschiede und die eigene Privilegiertheit. Ich habe drei Jahre im arabischen Viertel von Bonn gewohnt. Kommilitonen haben meine Entscheidung immer mit diesen Argumenten abgelehnt - trotz des friedlichen Lebens, dass meine MitbewohnerInnen führen und trotz der Kirschbäume und Schrebergärten in Steinwurfsweite.

Keine Kommentare: